Im Werk Franz Kafkas nehmen Briefe eine zentrale Stellung ein. Im Schloss (1926) etwa hängt der Landvermesser K. ein Legitimierungsschreiben seiner Vorgesetzten wie ein Porträt an die Wand, um sich seiner Identität zu versichern. In Amerika (1927) wird der Protagonist Karl Roßmann durch ein paar Zeilen seines Onkels aus dessen Landhaus verstoßen. Und in Das Urteil (1916) beschuldigt ein Vater seinen Sohn, "falsche Briefchen" zu einem vermeintlichen Jugendfreund nach Russland geschickt zu haben, bevor er ihn zum "Tode des Ertrinkens" verurteilt.Kafkas eigener Brief an den Vater wiederum, mit dem der Prager Schriftsteller 1919 gegen das Schreckbild des autoritären Familienoberhaupts anzuschreiben versuchte, ist längst selbst Literatur geworden. In dem nun vorliegenden ersten Band von Kafkas Korrespondenz, der in kritischer Edition alle privaten und beruflichen Schreiben zwischen 1900 und 1912 versammelt, kann man nachlesen, wie wichtig der postalische Verkehr dem angehenden Autor auch im wirklichen Leben war. "Wenn man einander schreibt, ist man durch ein Seil verbunden", heißt es diesbezüglich in einem Brief an Oskar Pollack vom 20. Dezember 1903, "hört man dann auf, ist das Seil zerrissen".Und bereits hier erweist sich Kafka als kommender Meister der kurzen Prosaform. So sendet der damals 19-Jährige am 28. August 1902 auf einer Postkarte an den Schulfreund Paul Kisch folgende hübsche Zeilen nach Prag: "Was kann man am Vormittag besseres thun als mit Blinzelaugen zwischen dunklen Feldern und blühenden Wiesen liegen? Nichts. Womit kann man den Nachmittag besser beginnen als dass man dem Paulchen eine Karte schickt. Da hast Du sie. Franz". --Thomas Köster
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